Oscar-Gewinner 2016 – meine Analyse


Mit Logik braucht man an das Oscar-Rennen 2015/2016 ganz sicher nicht zu gehen. Vielleicht werde ich, kurz bevor ich – einen Tag vor der Oscar-Verleihung – meine Wette abgebe, Zettel mit den potenziellen Gewinnern schreiben und dann einen ziehen. Diese Saison ist so unvorhersehbar wie selten eine zuvor.

Bei meiner Oscar-Prognose halte mich gerne an Statistiken, schaue auf Preise, die Kritiker vergeben und auf die noch wichtigeren Preise, die innerhalb der Filmindustrie verteilt werden. Ich lese viel, was die zahlreichen Oscar-Experten denken, lausche den Gerüchten und zwischendurch schaue ich immer wieder auf die Oscar-Saison als Ganzes. Kurz vor der Oscar-Verleihung lehne ich mich dann zurück und schaue mir den Verlauf der gesamten Oscar-Saison an, lasse in meiner Entscheidung einfliessen, wie sich potenzielle Oscar-Preisträger verhalten haben und versuche meine finale Prognose/ Wette mit dem Bauch zu entscheiden. Wenn man zu tief in der Materie steckt, neigt man zur Betriebsblindheit. Dieses Jahr kann man sich auf keine Statistik verlassen. Der Oscar-Favorit in der Kategorie Bester Film wechselt derzeit in einem wöchentlichen Abstand – ohne Übertreibung. Am 23.01.16 war es mit dem PGA-Gewinn The Big Short, am 30.01.16 war es mit dem SAG-Gewinn Spotlight seit letztem Samstag, 06.01.16, geht die Tendenz wieder zu The Revenant.

Üblicherweise hat man spätestens mit den Oscar-Nominierungen zwei klare Favoriten auf den Oscar-Gewinn Bester Film („Birdman“/„Boyhood“, „12 Years a Slave“/„Gravity“, „Argo“/„Lincoln“, „The King´s Speech“/„The Social Network“, „The Hurt Locker“/„Avatar“, etc.) Dieses Jahr gab es mit den Oscar-Nominierungen gleich vier Favoriten („Spotlight“, „The Big Short“, „The Revenant“ und „Mad Max: Fury Road“) auf die Königskategorie Bester Film. Tatsächlich hat aber jeder dieser Filme irgendetwas, was gegen ihn spricht. Erklärung weiter unten. Ein paar Fakten:

Grundsätzlich geht man davon aus, dass Bester Film und Beste Regie zusammengehen. Das ergibt auch einen Sinn. Wer ist schließlich für den Film verantwortlich? Wenn es in der Vergangenheit eine Trennung dieser beiden Kategorien gab, gab es immer Gründe dafür. (Beispiel „Argo“ – Ben Affleck wurde von AMPAS nicht als Bester Regisseur nominiert, Ang Lee wurde als Bester Regisseur ausgezeichnet, etc.). Dieses Jahr deutete vieles auf eine Trennung von Bester Film und Beste Regie hin. Bis letzten Samstag es so aus, als ob George Miller (für „Mad Mad: Fury Road“) den Regie-Oscar erhält und entweder „Spotlight“, „The Big Short“ oder „The Revenant“ als Bester Film ausgezeichnet werden. Mit dem DGA-Gewinn von Alejandro González Iñárritu ist aber alles wieder zurück auf Anfang.

 

 

Man muss ins Jahr 1949 und ins Jahr 1950 zurückgehen, als ein Regisseur für seine Regiearbeit 2x hintereinander ausgezeichnet wurde. Joseph Leo Mankiewicz hat im Jahr 1949 für „A Letter to Three Wives“ und ein Jahr später für „All About Eve“ gewonnen, aber nur für „All About Eve“ hat er sowohl Bester Film als auch Beste Regie gewonnen. Gewinnt Alejandro González Iñárritu ein Jahr nach „Birdman“ noch einmal für „The Revenant“ und dann Bester Film und Beste Regie? Damit wäre er der erste Regisseur in der Geschichte der Oscars überhaupt.

Oftmals haben Filme, die die meisten Oscar-Nominierungen erhalten haben auch die Kategorie Bester Film für sich entscheiden können. „The Revenant“ hat 12 Oscar-Nominierungen und „Mad Max: Fury Road“ hat 10. In den letzten 8 Jahren hat die Gilde der Produzenten mit ihrem PGA darüber entschieden, welcher Film ein paar Wochen später den Oscar erhält. Dieses Jahr hat „The Big Short“ den PGA gewonnen.

Grundsätzlich wird der Oscar-Gewinner-Film von AMPAS auch in der Kategorie Bestes Drehbuch (adaptiert oder Original) nominiert. Der letzte Film, der von AMPAS als Bester Film ausgezeichnet wurde und keine Drehbuch-Nominierungen erhalten hat, war der Film„Titanic“ – im Jahr 1997. Davor muss man sehr weit zurückgehen, nämlich ins Jahr 1965 zu dem Film „The Sound of Music“. Die dieses Jahr meist nominierten Filme „The Revenant“ und „Mad Max: Fury Road“ haben beide keine Nominierung für das Drehbuch erhalten.

Grundsätzlich hat ein Oscar-Gewinner-Film nicht nur 5 oder 6 Oscar-Nominierungen. Man muss ins Jahr 2006 und Martin Scorseses Film „The Departed“ und noch ein Jahr zurück zu dem völlig überraschenden Oscar-Sieger „Crash“ zurückkehren, als ein Film mit nur 5 oder 6 Nominierungen in der Kategorie Bester Film gewonnen haben. „The Big Short“ hat 5 Oscar-Nominierungen und „Spotlight“ hat 6 Nominierungen.

Kein Film über Journalisten hat jemals einen Oscar gewonnen.

In den meisten Fällen gewinnt der Film auf den sich ALLE einigen können. Da jede einzelne Branche auch über die Kategorie Bester Film entscheidet, gewinnt meist der Film, den alle mögen und keiner hasst. Meines Erachtens ist damit „Spotlight“ der Favorit und „The Big Short“ der Film, der „Spotlight“ gefährlich werden können. Ich habe von Stimmen einiger Academy-Mitglieder gehört, die mit „The Revenant“ nichts anfangen konnten, den Film zu anstrengend fanden oder ihn auch gar nicht gesehen haben und auch nicht vorhaben, ihn anzusehen. (aber trotzdem für Leonardo DiCaprio stimmen wollen).

PGA – Producers Guild Award
SAG – Screen Actors Guild Award
WGA – Writers Guild Award
DGA – Directors Guild Award
ACE-Eddie – American Cinema Editors Award, die den besten Schnitt eines Films auszeichnen
Cinemascore – zeigt an, wie das amerikanische Publikum am Eröffnungswochenende den Film bewertet hat. (Wertung von A+ bis F)

Rein rechnerisch können nur 3 Filme den Oscar als Bester Film gewinnen und das sind folgende:

„The Big Short“ hat zwar nur 5 Oscar-Nominierungen erhalten, dafür aber die wichtigsten. The Big Short ist der einzige Film, der alle wichtigen Nominierungen (DGA, SAG Ensemble, PGA und WGA und ACE-Eddie) innerhalb der Filmindustrie erhalten hat. Der Film kam sehr spät in die Oscar-Saison. Erstmalig wurde er am 12. November 2015 auf dem AFI Fest gezeigt. Keiner hatte diesen Film zu Beginn der Oscar-Saison auf dem Zettel. Gewonnen hat er, durchaus überraschend, den so wichtigen PGA, den Preis der Produzenten Gilde und den ACE Eddie in der Kategorie Beste Komödie oder Musical. Die Gewerkschaft der Produzenten und AMPAS haben dasselbe Wahlverfahren, das zu ihrem Gewinner-Film führt. Seit dem Jahr 2007 (mit „No Country for Old Men“) war der PGA-Gewinner-Film auch einige Wochen später der Oscar-Gewinner-Film. Was spricht gegen „The Big Short“ als Oscar-Gewinner-Film? Wenig, ich habe gehört, dass es bei den PGAs eine sehr knappe Entscheidung (zu dem Zweitplatzierten) gab. Hilfreich wäre, wenn man wissen würde, welcher Film der Zweitplatzierte war – das ist aber nicht bekannt. Gegen „The Big Short“ spricht, dass er nicht von der Gewerkschaft der Schauspieler für das beste Ensemble (der Preis ging an „Spotlight“) ausgezeichnet wurde und dass Adam McKay auch von der Gewerkschaft der Regisseure (dort konnte sich, ziemlich überraschend, Alejandro González Iñárritu durchsetzen) ignoriert wurde. Das Einzige was wirklich gegen „The Big Short“ spricht ist, dass man den Film gemeinhin als Komödie bezeichnen kann und Komödien gewinnen quasi nie den Academy Award als Bester Film. („The Big Short“ steht bei 88% Rotten Tomatoes, 213 Fresh Reviews, 29 Rotten, Stand 8.2.16 und hat einen CinemaScore von A-)

„The Big Short“ und „Spotlight“ sind die einzigen beiden Filme, die Nominierungen von PGA, WGA, DGA und SAG Ensemble erhalten haben. Auch haben beide Filme jeweils eine, so wichtige Oscar-Nominierung in der Kategorie bester Schnitt und eine beste Drehbuch-Nominierung.

„Spotlight“ hat 6 Oscar-Nominierungen erhalten, dafür aber die wichtigsten. Die einzige Nominierungen innerhalb der Filmindustrie die „Spotlight fehlt, ist eine ACE-Eddie-Nominierung. Man muss ins Jahr 1989 zurückgehen, um einen Film zu finden („Driving Miss Daisy“), der ohne eine Nominierung für den ACE Eddie den Oscar als bester Film gewonnen hat. Dafür wurde „Spotlight“ aber als Bester Film (SAG Best Ensemble) von der Schauspielgewerkschaft ausgezeichnet. Die Schauspieler bilden die größte Branche innerhalb der Academy-Mitglieder. Für mich ist „Spotlight“ der beste dieser vier drei Oscar-Favoriten und ein typischer Oscar-Gewinner-Film. („Spotlight“ steht bei 96% Rotten Tomatoes, 240 Fresh Reviews, 9 Rotten, Stand 8.2.16)

„The Revenant“ hat zwar mit 12, die meisten Oscar-Nominierungen. Der Film hat aber keine Oscar-Nominierung für das Drehbuch. Wie bereits weiter oben geschrieben, hatte zuletzt James Camerons Oscar-Gewinner-Film „Titanic“ auch keine Drehbuch-Nominierung. „The Revenant“ ist aber nicht mit einem mainstreamigen „Titanic“ vergleichbar. „The Revenant“ hat auch keine Nominierung der Gewerkschaft der Autoren (WGA) und auch keine der Schauspielgewerkschaft (SAG) für das beste Ensemble. Nie hat ein Film den Oscar als bester Film gewonnen, ohne vorher für den WGA und den SAG Award nominiert gewesen zu sein. „Braveheart“ hatte zwar eine WGA-Nominierung, aber war der letzte Film, der keine SAG-Ensemble-Nominierung hatte und trotzdem im Jahr 1996 den Oscar als Bester Film gewonnen hat. „The Revenant“ wurde für den PGA, ACE-Eddie und den DGA nominiert. Alejandro González Iñárritu, und das kam sicher für die meisten überraschend, wurde von der Gewerkschaft der Regisseure am letzten Samstag mit dem DGA ausgezeichnet. („The Revenant“ steht bei 83% Rotten Tomatoes, 233 Fresh Reviews, 49 Rotten, Stand 8.2.16 und hat einen CinemaScore von B+)

 
Der Film mit einer Aussenseiter-Chance ist:

„Mad Max: Fury Road“ hat mit 10, die zweitmeisten Oscar-Nominierungen. Der Film hat aber keine Oscar-Nominierung für das Drehbuch und auch keine einzige Schauspiel-Nominierung! Wie „The Revenant“ hat auch „Mad Max“ keine SAG-Nominierung der Schauspielgilde für das Beste Ensemble. Dafür wurde der Film für den ACE-Eddie nominiert und hat diesen Preis der Cutter in der Kategorie Bestes Drama gewonnen. Mittlerweile sehe ich es als quasi ausgeschlossen, dass „Mad Max: Fury Road“ den Oscar als Bester Film gewinnt. Ich hatte darauf gehofft, dass George Miller als Bester Regisseur ausgezeichnet wird. Meine Hoffnungen sind aber mit dem DGA-Gewinn für Alejandro González Iñárritu verpufft. („Mad Max: Fury Road“ steht bei 97% Rotten Tomatoes, 325 Fresh Reviews, 10 Rotten, Stand 8.2.16 und hat einen CinemaScore von B+)

Okay, quasi immer habe ich einen Lieblingsfilm unter den oscar-nominierten Filmen. Dieses Jahr schlägt mein Herz für „Spotlight“ und „Mad Max: Fury Road“. Ich würde es lieben, wenn „Spotlight“ Bester Film und zwei, drei andere Oscars gewinnt und wenn „Mad Max: Fury Road“ weitestgehend alle technische Kategorien für sich entscheidet.

 
Meine momentane Prognose zu einigen Oscar-Gewinnern ist:

 
Bester Film: Spotlight, The Revenant oder The Big Short (in der Reihenfolge sehe ich die Gewinner derzeit)
Beste Regie: Alejandro González Iñárritu (The Revenant)
Bester Hauptdarsteller: Leo (The Revenant)
Beste Hauptdarstellerin: Brie Larson (Room)
Bester Nebendarsteller: Sylvester Stallone (Creed)
Beste Nebendarstellerin: Alicia Vikander (The Danish Girl)
Bestes Originaldrehbuch: Spotlight
Bestes adaptiertes Drehbuch: The Big Short
Beste Kamera: Chivo (The Revenant)
Bester Schnitt: The Big Short
Beste visuelle Effekte: Star Wars: The Force Awakens
Beste Filmmusik: Ennio Morricone (The Hateful Eight)
Bester Animationsfilm: Inside Out
Bester fremdsprachiger Film: Son of Saul
Bester Dokumentarfilm: Amy

 

„Spotlight“ – Trailer zu sehen:

„The Revenant“ – Trailer zu sehen:

 

„The Big Short“ –  Trailer zu sehen:

„Mad Max: Fury Road“ –  Trailer zu sehen:

3 Gedanken zu “Oscar-Gewinner 2016 – meine Analyse

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